„Verrückt wie ein Hutmacher“

Herkunft einer Redewendung

Eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur ist das Kinderbuch „Alice im Wunderland“. Verfasst hat es 1865 der Engländer Lewis Carroll (1832 – 1898). Es gehört zur Gattung des literarischen Nonsens, wobei Carroll reale Gegebenheiten in bildhafter Sprache verarbeitet. Im Buch erscheint beispielsweise die Figur des verrückten Hutmachers. Auch wenn man das Buch gar nicht gelesen hat, so gehört diese Figur doch inzwischen zum Allgemeingut, insbesondere in englischsprachigen Ländern.

Der verrückte Hutmacher (Illustration von John Tenniel, 1865)
Der verrückte Hutmacher (Illustration von John Tenniel, 1865)

Aber von wem erzählt Lewis Carroll hier eigentlich? Es ist ein Mann, den Alice bei ihren Abenteuern im Wunderland trifft. Zusammen mit dem Märzhasen feiert der Hutmacher eine Teeparty, die niemals zu enden scheint. Ein weiterer Teilnehmer ist ein Siebenschläfer, der die meiste Zeit schläft – nomen est omen. Hutmacher und Hase verhalten sich dagegen sehr auffallend und tun absurde Dinge. Alice verlässt die Gesellschaft deshalb letztlich wieder.

Das „verrückte“ Verhalten von Hutmacher und Hase war für die Zeitgenossen Carrolls sofort erklärbar: Der Begriff „Verrückt wie ein Hutmacher“ war damals eine bekannte Redewendung. Der Märzhase ist eine typisch englische Zutat: Da sich die Hasen in der Brutzeit im März ungewöhnlich verhalten, gilt der Märzhase in England als Symbol der Verrücktheit. Um dies zu unterstreichen trägt er im Buch „Alice im Wunderland“ Stroh auf dem Kopf, womit man in viktorianischer Zeit Wahnsinnige dargestellt hat.

Der Hutmacher wird als nicht sehr großer Mann mit vorstehenden Zähnen beschrieben. Er ist typisch viktorianisch gekleidet und trägt einen auffallend großen Zylinder, den zeittypischen Männerhut. An diesem steckt ein Zettel mit der Aufschrift „In this Style 10/6“ (die Anfertigung eines solchen Hutes kostet zehn Shilling und sechs Pence). Das exzentrische Auftreten soll also den Gemütszustand des Mannes unterstreichen.

Der Hutmacher verdankt einer Berufskrankheit die diffamierende Zuschreibung. Gemeint ist die Vergiftung mit Quecksilber. Diese nannte man Hutmachersyndrom, obwohl es auch andere Berufsgruppen treffen konnte. Diese Vergiftung trat bei der Beize des Fells mit Quecksilbernitrat auf, um das Haar abzulösen. Die dabei entstandenen Gase können zu schweren neurologischen Schäden führen, die „verrückte“ Verhaltensweisen nach sich ziehen. Etwa seit 1780 hatte sich diese Herstellungsweise durchgesetzt.

Obwohl sich schon im 19. Jahrhundert das Wissen verbreitete, dass Quecksilber nicht so ungefährlich sei, wie man lange dachte, dauerte es noch ein weiteres Jahrhundert, dies auch umzusetzen. Gerade für die Herstellung der Kastorhüte – dem Vorläufer der Zylinder – wurde Quecksilber verwendet. Kastorhüte wurden aus dem hochwertigen Biberfell hergestellt. Sein Import aus Nordamerika war seit dem 17. Jahrhundert ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Europa.

Die bekannteste Darstellung hat der Illustrator Sir John Tenniel (1820 – 1914) geschaffen, der die Erstausgabe illustriert hatte.

Text: Alexander Langheiter